Bei einem Großteil der Menschen löst der Gedanke an die eigene Sterblichkeit und den Tod eine übermächtige Angst aus. Deshalb wird der eigene Tod von den meisten Menschen eher verdrängt, bis er aufgrund von Alter oder Krankheit unausweichlich bevorsteht. Diesen psychologischen Verdrängungsmechanismus bezeichnen Forscher als Sterblichkeitsparadoxon.
Es gibt jedoch auch Menschen, die sich bewusst mit dem Älterwerden und ihrer Sterblichkeit auseinandersetzen. Das hat den Vorteil, dass das Leben bewusster gestaltet und erfahren wird. Zugleich fällt so auch der Umgang mit sterbenden Angehörigen leichter.
Wer hat eigentlich Angst vor dem Tod?
Grundsätzlich gilt: Die Angst vor der eigenen Endlichkeit und dem Sterben ist in uns allen vorhanden, jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Studien zufolge spüren Frauen häufiger Angst vor dem Tod als Männer, Ältere weniger häufig als Jüngere.
Warum dies so ist, wurde seitens der Forschung ausgiebig untersucht. Der bisherige Erklärungsansatz: Mit dem Alter nimmt die soziale Verbundenheit mit unserer Umwelt zu. Positive Emotionen haben eine stärkere Resonanz. Das wirkt sich mildernd auf die Angst vor dem Tod aus. Dass die Angst vorm Tod bei Älteren tendenziell abnimmt, liegt nicht zuletzt auch daran, dass Dankbarkeit und gelebte Geschichte an die Stelle der noch ungewissen Zukunft treten.
Trotzdem gibt es viele Menschen, für die unsere Endlichkeit und der eigene Tod ein emotionales, psychisches oder spirituelles Problem darstellen.
In diesem kompakten Überblick erfahren Sie
- welche Vorstellungen vom Davor und Danach es gibt,
- was die Angst vor dem Tod überhaupt ist und sein kann,
- warum der erlebte Tod von anderen für uns heilsam und nützlich ist,
- wie man sich mit der eigenen Sterblichkeit bewusst auseinandersetzt und die Angst vor dem Tod besser überwindet.
Was war davor? Was kommt danach?
Viele Menschen haben Angst vor dem Tod, andere wiederum überhaupt nicht. Ebenso verschieden sind die Ideen darüber, was vor unserer Geburt war und was nach unserem Tod kommt. Einigen hilft der Gedanke, dass vor ihrer Geburt nichts war, dass sie also keine Erinnerung an das Davor haben. Für andere wiederum ist genau dieser Aspekt am Tod bedrohlich, denn die Ungewissheit über das Danach erzeugt bei ihnen große innere Unruhe. Philosophen und Religionen haben deshalb seit jeher ganz unterschiedliche Erklärungsmodelle dafür geliefert, was vor unserer Existenz war und ebenso für das, was uns nach dem Tod erwartet.
Das sagen die großen Religionen
Die drei monotheistischen Weltreligionen haben teils ganz unterschiedliche Ideen von der Seele, die unser Diesseits verlässt, in ein Jenseits einkehrt oder sich sogar mit Gott verbindet. Während Seele und Körper im Islam untrennbar verbunden sind, spaltet sich die Seele in der christlichen Vorstellung vom Körper ab und lebt getrennt von diesem weiter. Im Judentum gibt es sowohl die Vorstellung, dass die Seele, getrennt vom Körper, zu Gott zurückkehrt und weiterlebt, als auch die Lehre, dass Körper und Seele gemeinsam sterben und in der messianischen Zeit gemeinsam auferstehen.
Die Vorstellung, dass Menschen nach dem Tod angesichts ihrer Taten belohnt oder bestraft werden, findet sich sowohl in Christentum und Judentum als auch im Islam: So gehören zur Jenseitsvorstellung der Christen z. B. das Paradies im Himmelreich Gottes, das Fegefeuer als Ort der Läuterung und die Hölle als Ort der Verdammung. Im Judentum gibt es eine solche konkrete Jenseitsvorstellung dagegen nicht. Alle drei monotheistischen Weltreligionen lehren allerdings die Idee vom Jüngsten Gericht bzw. Gottesgericht, wo über die guten Taten und die Sünden der Menschen gerichtet wird.
Buddhisten
Buddhisten gehen hingegen grundsätzlich davon aus, dass jeder Mensch die Fähigkeit zur inneren Erleuchtung hat und sich über mehrere Existenzen (Reinkarnationen) hinweg selbst vervollkommnen kann, um diesen Zustand zu erreichen. Die Erlösung im Nirwana erreicht, wer Samsara, den Kreislauf der Wiedergeburten, durchbricht. Eine Seele, ein Ich und damit eine überdauernde Person gibt es im buddhistischen Glauben dagegen nicht. Vielmehr geht diese Glaubensrichtung von einer Wiedergeburt ohne Seelenwanderung aus. Stattdessen nehmen Buddhisten an, dass es ein Geist-Kontinuum gibt: Das unzerstörbare Bewusstsein kehrt in eine neue physische Existenz ein.
Hinduismus
Im Hinduismus und anderen Religionen wird die unsterbliche Seele in einem anderen Körper, Mensch oder Tier, wiedergeboren.
Bei sehr religiösen Menschen spielt bei der Angst vor dem Tod deshalb häufig die Sorge vor möglicher Verdammung wegen schlechter Taten (Christentum, Judentum, Islam) oder die Furcht vor der Wiedergeburt in einer niedrigeren Existenzform (Buddhismus, Hinduismus) eine entscheidende Rolle.
Das sagen antike und moderne Philosophen
Bereits im Altertum wurde die Frage danach, was nach dem Tod kommt, umfassend untersucht und diskutiert: So entwickelte schon der griechische Philosoph Platon die Idee einer unsterblichen Seele, die nach dem physischen Tod in neuer Materialisierung wiederkehren könne.
Besonders interessant ist die von Philosophen immer wieder gestellte Frage, ob der Tod überhaupt als etwas Negatives, als ein Übel anzusehen ist: Der griechische Denker Epikur (341−270 v. Chr.) hält den Tod beispielsweise für bedeutungslos, denn „er geht uns nichts an. Solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr“. (aus: Brief an Menoikeus)
Die Möglichkeit der Unsterblichkeit ist den meisten philosophischen Überlegungen zufolge keine wünschenswerte Alternative: So stellt etwa der moderne englische Philosoph Bernard Williams (1929−2003) fest, dass der Tod als Absage an unsere Wünsche zwar eine gewisse Frustration mit sich bringt, er jedoch zugleich nicht als Übel anzusehen ist, weil ein Leben ohne Tod, die Unsterblichkeit, langweilig und unerträglich wäre. Der Tod gebe dem Leben, so gesehen, sogar erst seine Bedeutung und seinen Sinn. (aus: Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit)
Für den deutschen Gegenwartsphilosophen Ernst Tugendhat (geb. 1930) ist die Angst vor dem Tod primär mit der Angst verbunden, nicht erfüllt und gut gelebt zu haben. Todesangst dient demnach dem Zweck, dass wir uns darauf besinnen, „richtig“ zu leben.
Angst vor dem Tod − was ist das überhaupt?
Die Angst vor dem Tod ist eine tief im Menschen verankerte Angst, der wir nur begegnen und die wir nur „behandeln“ können, indem wir sie zuerst einmal zulassen, genauer betrachten und entschlüsseln. Denn hinter dem Verhalten, den Tod zu verdrängen und aus unserem Lebensalltag ausklammern zu wollen, können tatsächlich ganz unterschiedliche, mehr oder weniger reale Ängste stehen.
Todesangst als psychische Störung
Viele psychische Störungen und Erkrankungen sind mit Todesangst verknüpft oder können Todesangst als Symptom aufweisen, so etwa Angst- und Panikstörungen, Hypochondrie oder Wahnstörungen wie das Cotard-Syndrom, bei dem Betroffene fürchten, bereits tot zu sein.
Angst vor dem Sterben
Vielen Menschen macht das Sterben als solches Sorge − sie haben im Grunde genommen keine Angst vor dem Tod an sich: Die Angst, an Schmerzen zu leiden, steht dabei im Vordergrund, ebenso wie die Angst vor dem Kontrollverlust am Ende des Lebens − sei es im Hospiz, im Krankenhaus oder im Kontext einer häuslichen Pflegesituation.
Die Angst vor dem Nichts
In seiner Schrift „Der Begriff Angst“ stellt der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard die These auf, dass sich hinter der Todesangst die Angst vor dem Nichts verbirgt und damit die Angst vor der Nichtexistenz, dem Nichtsein oder, anders gesagt, dem Verlust des Selbst.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht gilt: Im Zustand des Todes, ohne Bewusstsein und Wahrnehmung, ist eine Existenz − wie wir sie kennen und biologisch definieren − nicht mehr gegeben. Wer diese Form der Todesangst spürt, leidet vor allem am Nichtwissen, der Ungewissheit darüber, was danach kommt. Mit der biologischen Erklärung geben sich die meisten Menschen nicht zufrieden. Sie suchen deshalb Halt in religiösen und spirituellen Anschauungen, die von einer Fortsetzung der Existenz ausgehen − sei es durch Wiedergeburt oder eine Befreiung der Seele.
Die Angst, nicht oder nicht gut gelebt zu haben
Der Tod ist auch dann eine bedrohliche Tatsache, wenn das Leben bislang nicht nach den eigenen Werten, Zielvorstellungen oder der eigenen Selbstachtung ausgerichtet worden ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn wir ausschließlich für andere sorgen und nicht wagen, eigene Lebensträume zu verwirklichen.
Der umgekehrte Fall ist natürlich ebenso möglich: Wir verschreiben uns der Selbstsuche und Selbstverwirklichung so sehr, dass wir uns zu wenig oder gar nicht auf unsere Mit- und Umwelt ausrichten und keine Verantwortung für andere Menschen übernehmen. Auch dann gibt der Tod in der Selbstreflexion und Selbstbewertung Anlass zur Sorge, denn wir haben moralische Ansprüche an uns selbst noch nicht eingelöst und bisher nicht erfüllend gelebt. So gesehen bietet die bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod die Chance, das Leben aktiver und bewusster zu gestalten − und zwar so, dass wir mit unserem Leben in der Rückschau zufrieden sein können.
Sterbende begleiten: warum es so heilsam ist
Nichts hinterlässt so eindrückliche Erfahrungen wie die direkte Sterbebegleitung von alten oder kranken Menschen: Wer sich Sterbenden zuwendet und diese in ihrem Prozess begleitet, erfährt nicht nur, dass Leben und Tod untrennbar miteinander verbunden sind; er erlebt auch, dass das Leben im Angesicht des Todes eine gewisse Relativierung erfährt: tägliche Konflikte und Lebensprobleme erscheinen auf einmal sehr viel kleiner und unbedeutender, während der übergeordnete Lebensentwurf, der Sinn, die Sinnhaftigkeit des Lebens, an Bedeutung gewinnt.
Die Autorin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross, die intensiv zum Tod geforscht und zahlreiche Sterbende während des Sterbeprozesses begleitet und befragt hat, beschreibt in ihren Büchern fünf unterschiedliche Phasen, welche Sterbende sehr häufig durchlaufen: vom Zustand des Nicht-wahrhaben-Wollens über die Wut auf das Unabänderliche, das Verhandeln-Wollen und die Depression bis zu Akzeptanz und Zustimmung. Wer sich mit diesem Fünf-Phasen-Modell beschäftigt, lernt nicht nur, welche Dimensionen der Sterbeprozess umfasst, sondern kann auch sterbende Angehörige und Freunde besser unterstützen.
Andere Sterbeforscher wie z. B. die Palliativpflegerin Bronnie Ware beschäftigen sich mit den Aspekten, welche Sterbende im Allgemeinen bei der Rückschau auf ihr Leben bereuen. Der interessanteste Aspekt hierbei ist wohl, dass die meisten Sterbenden bereuen, sich selbst nicht treu genug gewesen zu sein und den eigenen Lebensentwurf zu sehr an fremden Erwartungen ausgerichtet zu haben. Weiterhin wünschten sich viele der Befragten, sie hätten weniger gearbeitet, mehr in Freude gelebt, ihre Gefühle besser ausgedrückt und mehr Zeit mit Freunden verbracht.
Insofern kann die bewusste Enttabuisierung des Todes im eigenen Leben zu mehr Gelassenheit und auch mehr Humor im Alltag (und sogar beim Sterben) führen − und zur Besinnung auf das, was uns tatsächlich von Herzen wichtig ist.
So klappt es: die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod
Zugegeben: Dinge aus der Hand zu geben und Kontrolle abzugeben, fällt den meisten Menschen schon zu Lebzeiten schwer. Deshalb ist die tägliche oder zumindest regelmäßige Praxis des Loslassens von materiellen Dingen, Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen eine sehr gute Vorübung für den Tod − den Zeitpunkt, zu dem wir nicht nur unser Leben mit Familie, Arbeit und geliebten Aktivitäten, sondern sogar unseren Körper, unsere physische Wahrnehmung und unser individuelles Bewusstsein loslassen müssen.
Seelsorger und Sterbebegleiter betonen, wie wichtig es ist, die eigene Angst vor dem Tod zu akzeptieren und anzunehmen − dabei helfen unterschiedliche Strategien, je nachdem, worin die Angst vor dem Tod ihre konkrete Ursache hat.
Das hilft bei der Angst vorm Sterben
Gegen die Angst vorm Sterben, vor Schmerzen und Kontrollverlust hilft es ungemein, für mögliche pflegende Angehörige und behandelnde Ärzte im Rahmen einer Patientenverfügung aufzuschreiben, welche Pflegemaßnahmen gewünscht oder nicht gewünscht sind. Auch über lebenserhaltende Maßnahmen und Gaben von Schmerzmitteln bei unterschiedlichen Krankheits- und Sterbeszenarien können bereits zu Lebzeiten Patientenwünsche für den Ernstfall und das Lebensende konkret schriftlich festgehalten werden.
Das hilft gegen die Angst vor dem Nichts
Wer an dieser mentalen Form der Todesangst leidet, für den ist sehr wahrscheinlich das spirituelle Bedürfnis mit Blick auf das Thema Tod bislang unerfüllt geblieben: Gelebte Spiritualität und Achtsamkeitspraktiken können hier Abhilfe schaffen; ebenso die Beschäftigung mit religiösen und spirituellen Glaubenssystemen. Dabei ist unerheblich, ob am Ende der Glaube an einen Gott, eine höhere Macht, die Wiedergeburt oder eine gefestigte Meditationspraxis steht. Es geht im Kern darum, sich der Angst vor dem Nichtsein zu stellen und sich mittels Glaube, Meditation, Yoga oder anderen Mindfulness-Techniken bewusst auf den Tod vorzubereiten und sich mit diesem auseinanderzusetzen.
Spiritualität hilft
Die Überzeugung, dass alles genau so gut war, wie es war, und auch weiterhin gut sein wird, ist ein wichtiger Pfeiler bei der Akzeptanz des Todes. Auch die Offenheit für Erfahrungen und Realitäten jenseits des Mess- und Wahrnehmbaren ist für viele Menschen mit Todesangst hilfreich. Zudem kann die Beschäftigung mit Bewusstseinsforschung helfen: So ist beispielsweise der Weg vom geschlossenen Bewusstsein des Individuums zum erweiterten, kollektiven Bewusstsein der Menschen für viele eine hilfreiche Vorstellung, die den Einzelnen in die Gemeinschaft und das universale Sein einbettet. Letztendlich ist es auch das tiefgreifende Verständnis der Verbundenheit von allem mit allem, das dabei hilft, die eigene Endlichkeit anzunehmen.
Alle Dinge, ob nah oder fern, sind durch unsterbliche Kraft miteinander verbunden, sodass du keine Blume berühren kannst, ohne einen Stern zu belästigen.
Francis Thompson (1859−1907)
Das hilft gegen die Angst, nicht oder nicht gut gelebt zu haben
Eine bewusste Lebensführung und Lebensgestaltung ist das beste Heilmittel für all diejenigen, die mit der Art und Weise, wie sie ihr Leben führen, insgeheim hadern und deshalb von der Angst vor dem Tod geplagt werden: Tägliche Rituale wie morgendliches Journaling, um Gedanken und Gefühle festzuhalten, die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen und Werten und die routinemäßige Überprüfung, ob nach den gesteckten Zielen und Werten auch tatsächlich gelebt wird, sind dabei sinnvoll. Das kann jede und jeder für sich selbst tun.
Darüber hinaus kann diese Selbstreflexion aber auch im Rahmen von Therapie, Life Coaching oder im Gespräch mit Freunden und Familie stattfinden. Einige Menschen erstellen sich ein Vision Board für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte, in dem sie wichtige Lebensziele visualisieren. Anderen wiederum tut es gut, immer wieder das Bewusstsein im Augenblick zu zelebrieren und sich von den gesteckten Zielen zu entschleunigen, um Qualität in ihr Leben zu bringen.